Chronik des Deutschen Baptismus

2009 Das baptistische Jubiläumsjahr

Das Jahr 2009 ist für den weltweiten Baptismus ein Jahr zweier besonderer Jubiläen. Vor 400 Jahren entstand die erste Baptistengemeinde in der Geschichte. Eine kleine puritanisch-kongregationalistische Gemeinde in England unter der Leitung von John Smyth war 1608 vor dem Druck der Verfolgung in ihrem Heimatland nach Amsterdam geflüchtet und dort unter dem Einfluß der Mennoniten zur Erkenntnis gekommen, daß die Kindertaufe nicht recht ist. Wahrscheinlich 1609 vollzog sie deshalb die Glaubenstaufe und wurde so zur ersten Baptistengemeinde. Danach beschloß man, wieder nach England zurückzukehren, so daß die Geschichte des Baptismus zunächst nicht auf dem europäischen Festland, sondern in England weiterging.

2005–2010: Der deutsche Baptismus als Teil einer weltweiten Familie

Die baptistischen Gemeinden in Deutschland verstanden sich von Anfang an als Teil einer Bewegung über die nationalen Grenzen hinaus, zumal bereits durch J. G. Oncken eine enge Verbindung zu Baptisten in England und in Amerika bestand. So spielten auch der baptistische Weltbund (Baptist World Alliance, BWA, gegründet 1905) und die Europäische Baptistische Föderation (EBF, gegründet 1949) immer eine wichtige Rolle für die Baptisten in Deutschland.

1995 – 2005 Abbruch und Aufbruch

Bereits 1991 war das Theologische Seminar der DDR von Buckow nach Hamburg umgezogen. Der Raum in der Rennbahnstraße wurde eng. Ein neu entwickeltes Gesamtbildungskonzept, das auch Fortbildungen für Ehrenamtliche einbeziehen sollte, beförderte ebenfalls das Nachdenken über räumliche Erweiterungen. Diskutiert wurde die Frage, ob das Gelände in HH-Horn dafür nutzbar sei oder ob ein neues Bildungszentrum in Hamburg, in der Mitte Deutschlands oder ganz wo anders geplant werden sollte.

1985-1995 Baptisten in weltbewegenden Zeiten

Dieses politisch aufregende Jahrzehnt begann 1985 mit eindringlichen Mahnungen zum Frieden: 40 Jahre nach dem Krieg veröffentlichten die Evangelischen Kirchen in Ost und West gemeinsam ein "Wort zum Frieden". Bundespräsident von Weizsäcker wagte die Hoffnung, der 8. Mai sei nicht das letzte Datum der Geschichte für alle Deutschen, wenn sie die Verpflichtung dieses Tages zu Frieden und Versöhnung beherzigten. Und die Bundesleitung des BEFG-DDR sprach angesichts des Wettrüstens von unserer Verpflichtung zum Friedensstiften.

1975–1985 Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft

„Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ — so lautete der Titel eines Traktats, mit dem die Gemeinden in dieser Zeit für sich warben. Die Gemeinden hatten seit Beginn der 70er Jahre einen ausgesprochenen Modernisierungsschub durchgemacht. Das Sekten-Image sollte endgültig der Vergangenheit angehören. Der Zeitabschnitt wurde eingerahmt von zwei bedeutenden internationalen Ereignissen, die auch direkten Bezug zum deutschen Bund hatten: 1975 war es der Baptistische Weltkongress in Stockholm. Ein Teil der deutschen Teilnehmer fuhr unter Leitung von Harold Eisenblätter mit einem gecharterten russischen Passagierschiff zum Kongress. Dieser Kongress blieb der bisher einzige Weltkongress, bei dem die Jugend ein ganzes Abendprogramm gestaltete. Hauptredner an dem Abend war Karl Heinz Walter. Die für Deutschland wichtigste Entscheidung war die Wahl von Gerhard Claas zum Generalsekretär der Europäischen Baptistischen Föderation. 1976 trat er den Dienst an und holte das EBF-Büro nach Hamburg.

1965 - 1975 Eine Zeit der Neuorientierung

Eine neue Generation leitender Geschwister übernimmt die Verantwortung im Westbund. Johannes Arndt wird 1966 neuer Bundesvorsitzender, 1973 Günter Hitzemann. 1967 wird Gerhard Claas Bundesdirektor als Nachfolger von Rudolf Thaut, der 1968 Direktor des Theologischen Seminars wird. Willi Grün wird 1965 Redaktionsleiter im Verlagshaus. Es beginnt eine Zeit der Neuordnung und Konsolidierung, weil Bisheriges instabil wurde. Verfassung, Wahlordnung und Rechenschaft vom Glauben werden neu erarbeitet. Der Bruderrat der Brüdergemeinden konstituiert sich. Manfred Otto, seit 1970 Bundesdirektor, führt die Bezeichnung „Bundesmissionshaus“ ein und strebt einen Neubau an. Die Kontakte mit den anderen Freikirchen werden verstärkt, besonders auf den Gebieten Rundfunkarbeit, Ausbildung und Diakonie.

1955 - 1965 Zwei Bünde unter einem Namen: Baptisten im Kalten Krieg

Der Bundesrat beschloss 1960 in Berlin-Tempelhof, künftig jährlich zu tagen und lud für 1961 nach Berlin-Weißensee oder Leipzig und damit erstmalig in die DDR ein. Doch dann kam der 13. August 1961. In der BRD sprach man vom „Bau der Berliner Mauer“, in der DDR von der „Errichtung des antifaschistischen Schutzwalles“. Für die Bundesgemeinschaft hieß das weitere Trennung und zusammenzuhalten, wo es nur irgend möglich ist. An der Bundesleitungssitzung 1961 in München konnte kein Mitglied aus der DDR teilnehmen. Künftig wurde versucht, gemeinsame Sitzungen in Ost-Berlin zu halten, später Begegnungen genannt. Die geplante Bundesratstagung fiel aus. 1962 fand in Vollmarstein-Grundschöttel eine Bundesratstagung-West statt, 1963 eine Bundesratstagung-Ost in Leipzig. Beide Bundesräte beschlossen eine gegenseitige Freigabe für das jeweils von ihnen vertretene Gebiet. Aus Zweckmäßigkeitsgründen wurde in der DDR am Dreijahresturnus festgehalten.

1945-55 Ein zweifacher Neuanfang: Baptisten im Nachkriegsdeutschland

Im Jahr 1946 erschien das Anschriftenverzeichnis des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. Ein Vergleich mit dem infolge des Krieges letztmalig für 1939 herausgegebenen Jahrbuch zeigte gravierende Unterschiede. Den Namen Baptistengemeinden gab es nach dem 1941 erfolgten Zusammenschluss mit den BfC-Gemeinden nicht mehr. Herausgegeben wurde es vom Bundeshaus in Bad Pyrmont. Das Bundeshaus in Berlin war zerstört worden. Ebenso das Verlagshaus in Kassel. Deshalb hatte der Oncken-Verlag seinen Sitz in Stuttgart.

1933-1945 Baptisten im Deutschen Reich

 Nach der Machtübertragung an Hitler im Januar 1933 ist zu beobachten, dass sich die Baptisten in den folgenden Monaten sehr ambivalent verhielten.

Einerseits gab es - wie in den großen Kirchen - zustimmende Äußerungen zum Nationalsozialismus, die sich besonders in der Zeit nach den Märzwahlen häuften. So führte C. Brauns im „Wahrheitszeugen“ aus: Er sei „dankbar, dass [Gott] uns so über Erwarten freundlich angeschaut hat, uns nicht in das Chaos wie in Rußland hat abgleiten lassen. In der nationalen Bewegung ruft er noch einmal ähnlich wie in der Reformationszeit zur Einkehr und Buße.“ Auch war man froh darüber, dass Hitler den Parlamentarismus abgeschafft hatte. Begrüßt wurde auch der Kampf gegen die Unsittlichkeit. Vereinzelte kritische Stimmen, die es auch gab, können das – aus heutiger Sicht - negative Gesamtbild aber nicht nachhaltig korrigieren.

1914-1933: Das baptistische Milieu vom 1. Weltkrieg zur Weimarer Republik

Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche!“ Mit diesen Worten begeisterte Wilhelm II. im August 1914 selbst viele der sonst oppositionellen Arbeiter für seinen Krieg. Religiöse Minderheiten wie Juden und Freikirchen sahen im Krieg die große Chance, sich als Deutsche unter Deutschen zu bewähren und sich vom Makel des Andersseins reinzuwaschen. Viele Baptisten verstanden den Krieg zudem als Möglichkeit zur Mission und zogen mit speziellen Traktaten ins Feld. Doch statt der Erweckung folgte bis 1918 eine Serie erbärmlicher Gemetzel. Auf den Schlachtfeldern ging das alte Europa für immer unter. Die religiösen Legitimationssysteme Alteuropas ― Habsburgs Katholizismus, Preußens Protestantismus und Rußlands Orthodoxie ― gingen aus dem Krieg moralisch diskreditiert hervor und verloren mit dem Zusammenbruch der Monarchien ihre traditionellen Funktionen.

1884-1909: Baptistengemeinden im deutschen Kaiserreich

Die Reichsverfassung von 1871 hatte den Baptistengemeinden keinen einheitlichen Rechtsstatus gebracht (Kultusangelegenheiten blieben Ländersache), aber die Handlungsspielräume für die Gemeinden und für die Einrichtungen des Bundes erweiterten sich spürbar. Man wurde nach außen sichtbarer. Dank der Opferbereitschaft der Gemeinden entstanden repräsentative Kapellenbauten. In Gelsenkirchen, einer Arbeitergemeinde mit vielen polnischen Mitgliedern und zweisprachigem Gemeindeleben, leistete man sich sogar einen hohen Kirchturm. Als Bundeswerk wurde 1880 das Predigerseminar in Hamburg gegründet, 1888 bezog es das mit Unterstützung des amerikanischen Baptisten John D. Rockefeller errichtete Gebäude in Hamburg-Horn.

1859-1884 Die wachsende baptistische Bewegung in Europa

Julius Köbner (1806-1884) Gottfried Wilhelm Lehmann (1799-1882)

Auch die zweiten fünfundzwanzig Jahre des deutschen Baptismus waren immer noch in vieler Hinsicht geprägt von der Generation der Gründer. Neben Johann Gerhard Oncken sind Gottfried Wilhelm Lehmann (1799-1882) und Julius Köbner (1806-1884) als „ordnende Brüder“ des Bundes zu nennen. Der Berliner Lehmann kam 1837 über den lutherischen Pietismus und das Umfeld der Herrnhuter Brüdergemeine zum Baptismus.

1834-1854 Die Pionierzeit des deutschen Baptismus

Johann-Gerhard Oncken (geb. 1800 in Varel, gest. 1884 in Zürich) stammte aus einfachsten Verhältnissen. Ihn prägte die Zeit, die er in Großbritannien als Kaufmannsgehilfe verbrachte. Zwischen 1814 und 1823 lernte er als Heranwachsender das damals modernste Land der Welt kennen. Handel und Industrie standen in voller Blüte. Bürgerliche und religiöse Freiheiten hatten einen Stand erreicht, der in Deutschland noch lange nicht in Sicht war. Die Schattenseite dieser Entwicklung war die Massenarmut und die moralische Verwahrlosung unter den Industriearbeitern.